
CO2-Kompensation – Eine Kritik

CO2-Kompensation – Eine Kritik
Nicht zuletzt durch die Flutkatastrophe 2021 ist der Klimawandel präsenter denn je. Gemäß einer repräsentativen Umfrage gilt er in Deutschland als das drängendste Problem nach der Corona-Pandemie. Daher verwundert es nicht, dass viele Menschen versuchen einen Beitrag zu leisten um zumindest die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise zu verhindern. Immer mehr Menschen essen vegetarisch, vegan oder reduzieren ihren Fleischkonsum, viele fahren inzwischen lieber mit dem Zug in den Urlaub als ins Flugzeug zu steigen. Was aber auch immer beliebter wird: Die eigens verursachten CO2-Ausstöße einfach zu kompensieren. Zwei der hier führenden Anbieter, die gemeinnützigen Organisationen myclimate Deutschland und atmosfair, konnten ihre Spendeneinnahmen für CO2-Kompensationen 2019 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppeln.
Wir von effektiv-spenden.org stehen diesen Kompensationsspenden allerdings sehr kritisch gegenüber und haben uns bewusst entschieden, diese nicht zu empfehlen.
Basis für diese Kritik sind die folgenden Gründe:
Nicht ambitioniert!
Egal ob es nur um die Kompensation von Flugreisen oder sämtliche CO2-Emissionen geht, zu denen man kurzfristig beigetragen hat, der Anspruch scheint begrenzt. Im Vordergrund steht die Wiedergutmachung des zuvor angerichteten Schadens. Die Emissionen, welche in den letzten Jahrhunderten die Grundlage für unseren heutigen Wohlstand geschaffen haben, bleiben in der Regel unberücksichtigt. Das heißt: Selbst im besten Fall ist man am Ende nur weniger mitschuld.
Im schlimmsten Fall nehmen Kompensationsspenden sogar die Form eines modernen Ablasshandels an, nämlich dann, wenn zum Beispiel eine Flugreise nur deshalb angetreten wird, weil die damit verbundenen CO2-Emission im Nachgang durch eine Spende kompensiert werden können.
Ein Fokus auf Kompensation kann also, wenn auch gut gemeint, zu einer Hemmschwelle für ambitionierteres Verhalten werden.
Wir wollen mehr. Wir glauben, dass jeder Mensch einen deutlich größeren Beitrag leisten kann, als lediglich die knapp zehn Tonnen CO2 zu kompensieren, für die man pro Jahr in Deutschland durchschnittlich verantwortlich ist.
Nicht kosteneffektiv!
Die meisten Initiativen zur Kompensation von CO2 berechnen für jede zu kompensierende Tonne mehr als 20 Euro – wenn man also 20 Euro spendet, soll dafür eine Tonne CO2 kompensiert werden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es sich dabei auch nur annähernd um die effektivste Möglichkeit zur Emissionseinsparung handelt.
Unabhängige Evaluierungen von Klimaschutzorganisationen zeigen: Wird Forschung gefördert oder politische Rahmenbedingungen verbessert, ist dies um ein Vielfaches kosteneffektiver als Maßnahmen, wie sie im Rahmen von CO2-Kompensation beworben werden. Aufgrund der potentiell großen Hebelwirkung ist dies selbst dann der Fall, wenn nicht alle Projekte ihre Ziele erreichen.
In das Pflanzen von Bäumen zu investieren mag attraktiver klingen als sich für eine progressive Gesetzgebung zur Eingrenzung des Methanausstoßes europäischer Öl- und Gasanlagen einzusetzen. Aber wenn letzteres mit jedem Euro bis zu 100-mal mehr für den Klimaschutz bewirkt, dann wird aus der kühl klingenden Kosten-Nutzen-Analyse ein moralischer Imperativ. Der Klimawandel ist einfach schon zu weit fortgeschritten, als dass wir es uns leisten können, nur auf Maßnahmen zu setzen, die gut fürs Klima und intuitiv sexy sind…
Die scheinbare Notwendigkeit, für potentielle Spenderinnen schon auf den ersten Blick sympathisch zu erscheinen, ist aus unserer Sicht aber nicht der einzige Grund für die mangelnde Kosteneffektivität von Kompensationsprojekten. Ein weiterer hat mit der internen Fundraisinglogik der vermittelnden Organisationen zu tun. Würde diese wie wir Klimaschutzinitiativen empfehlen, die laut Analysen führender Experten eine Tonne CO2 für deutlich weniger als einen Euro vermeiden, so könnte man viele Flüge schon für wenige Cents kompensieren. Bei derartig kleinen Spenden wäre es aber praktisch unmöglich die stets anfallenden Transaktionsgebühren der Banken oder Kreditkartenanbieter, geschweige den alle anderen anfallenden Gemeinkosten in ein nachvollziehbares Verhältnis zu setzen. Insofern steht sich das verlockend leicht zu kommunizierende Kompensationsargument selbst im Weg, wenn es darum geht möglichst effektive Klimaschutzspenden zu sammeln.
Wir haben uns bewusst für einen anderen Weg entschieden und sind der Meinung, dass man seine Spenden im Bereich Klimaschutz ganz auf die effektivsten Organisationen konzentrieren sollte, also auf solche, die nicht nur unabhängig geprüft, sondern denen auch im Vergleich zu anderen Initiativen eine herausragende Kosteneffektivität bescheinigt wurde. Dazu gehört die Clean Air Task Force. Diese setzt sich beispielsweise für die Regulierung von sogenannten Super-Schadstoffen ein, welche um ein vielfaches klimaschädlicher sind als CO2.
Eine andere Empfehlung ist die Organisation Carbon180, welche sich auf die Unterstützung natürlicher und technologiebasierter Maßnahmen konzentriert, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Ein im öffentlichen Diskurs verhältnismäßig vernachlässigter Bereich, dem der Weltklimarat (IPCC) jedoch enorme Wichtigkeit beimisst.
Weitere Hintergrundinformationen zu unserem Ansatz finden sich hier, alle Spendenempfehlungen hier.
Insbesondere bei Interesse eine größere Summe zu spenden, eventuell auch als Unternehmen, stehen wir gerne für eine individuelle Spendenberatung zur Verfügung und können gegebenenfalls auch Kontakte zu den empfohlenen Organisationen oder weiteren Expertinnen herstellen.
Weitere Spenden-Tipps
Der Spendenmarkt funktioniert nicht
Die Marktmechanismen der freien Wirtschaft greifen im Spendenmarkt nicht. Daher ist es umso wichtiger, dass Hilfsorganisationen professionell evaluiert und miteinander verglichen werden.
Verwaltungskosten: Ein schlechter Grund zu spenden
Es gibt keinen Produktvergleich in dem auf die Verwaltungskosten der Hersteller eingegangen wird. Warum glauben viele Menschen, dass das beim Spenden anders sein sollte?
Vom (Un-)Sinn der Spendensiegel
Spendensiegel überprüfen nur die Einhaltung von Mindeststandards, sagen aber nichts darüber aus, wo man mit seiner Spende am meisten bewirken kann. Wir wollen das ändern.
Wie viel soll ich spenden?
Nichts, 1%, 4% oder 10% des eigenen Einkommens oder Vermögens? Soviel wie man Kirchensteuer zahlen würde? Was sagen die Philosophen und Religionen und wie viel spendet der Autor selber?
Intransparenz im gemeinnützigen Sektor
Der gemeinnützige Sektor in Deutschland ist extrem intransparent. Niemand weiß wie viele gemeinnützige Organisationen es überhaupt gibt geschweige denn wie viel Geld diese von wem erhalten.
Kinderpatenschaften:
Macht es Sinn zu spenden?Viele Hilfsorganisationen werben mit Kinderpatenschaften. Ist das seriös oder nur irreführendes Marketing? Was steckt wirklich dahinter und gibt es bessere Wege zu helfen?
Katastrophenhilfe: Eine kritische Betrachtung
Nichts beeinflusst das Spendenverhalten mehr als medial präsente Katastrophen, aber könnte man nicht viel mehr Menschen helfen, wenn man sich medial vernachlässigten Katastrophen zuwendet.
Entwicklungshilfe bringt doch nichts…
Immer wieder liest man , dass Entwicklungshilfe nichts bringen würde oder sogar kontraproduktiv sei. Das stimmt nur bedingt. Es kommt auf die Art der Entwicklungshilfe an, das sagen auch Kritiker.
Machen zweckgebundene Spenden Sinn?
Auch bei zweckgebundene Spenden hat man selten Einfluss wohin das Geld wirklich fließt und im schlimmsten Fall zwingt man die Organisation es sinnlos auszugeben.
Drei Dinge,die beim Spenden wichtig sind
Die meisten Menschen treffen ihre Spendenentscheidung spontan. Man wird auf der Straße angesprochen, erfährt im Bekanntenkreis von einem Projekt oder spendet an eine große, bekannte Organisation.
Philanthropie- und Spendenberatungen in Deutschland
Welche Anbieter für Spenden- und Philanthropieberatungen gibt es im deutschen Sprachraum – und was bieten sie an?